Finanzmärkte als Hungerverursacher – Zusammenfassung

In den letzten Jahren haben Finanzmärkte zunehmend Einfluss auf die Preise von Grundnahrungsmitteln genommen. Was einst ein Bereich realer Güter war, ist heute ein Spielfeld für spekulative Investoren geworden. Diese Entwicklung wirft die provokante Frage auf, ob Finanzgeschäfte über Leben und Hunger in ärmeren Ländern mitentscheiden – und wie man diesem Trend begegnen kann.

Hintergrund und Ziel der Studie

Die Studie untersucht, inwiefern Aktivitäten von Finanzmärkten – insbesondere spekulative Kapitalanlagen in Agrarrohstoffe – zu Preissteigerungen und -schwankungen bei Nahrungsmitteln beitragen und dadurch Hunger in Entwicklungsländern verschärfen. Sie wurde im Auftrag der Deutschen Welthungerhilfe erstellt und stützt sich auf empirische Daten und theoretische Analysen der globalen Getreide- und Sojamärkte.

Struktur der Getreidemärkte

Die Studie beschreibt vier Marktebenen:

  • Spotmarkt (Kassamarkt) – direkter Handel mit physischen Gütern zur sofortigen Lieferung.
  • Terminmarkt (Futures/Forwards) – Verträge über zukünftige Lieferung und Bezahlung.
  • Finanzmarktprodukte wie ETCs und ETFs – ermöglichen Anlegern, ohne physischen Warenbesitz in Rohstoffe zu investieren.
  • Derivate (Optionsscheine, Zertifikate) – spekulative Finanzinstrumente, deren Wert an die Preisentwicklung von Rohstoffen gekoppelt ist.

Bass vergleicht diese Ebenen mit einer homöopathischen Verdünnung: Auf der letzten Stufe ist der Bezug zur realen Ware kaum mehr nachweisbar.

Der Einstieg der Finanzmärkte in den Agrarhandel

Seit den 1990er Jahren – verstärkt seit 2000 – drangen Finanzinvestoren in Rohstoffmärkte vor. Studien wie *„Facts and Fantasies About Commodity Futures“* (Gorton & Rouwenhorst) trugen dazu bei, Rohstoffe als eigene Anlageklasse zu etablieren. Mit der Einführung von **ETCs, ETFs und Zertifikaten** wurde der Zugang zu Agrarrohstoffen für institutionelle und private Anleger erleichtert.

Dies führte zu einem massiven Anstieg spekulativer Kapitalströme in Getreidemärkte.

Auswirkungen auf Preise und Volatilität

Die Studie analysiert Daten der Weltbank (1960–2010) und zeigt:

  • In den 2000er Jahren stieg die Volatilität (Preisschwankungen) der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel deutlich.
  • Diese Entwicklung ist vereinbar mit der These, dass Finanzmarktaktivitäten die kurzfristigen Preisschwankungen verstärken.
  • Zwar lassen sich die Effekte nicht exakt quantifizieren, aber der Zusammenhang ist plausibel.
  • Besonders betroffen sind Weizen und Mais, während bei Reis die Finanzmarktaktivität geringer und die Preisschwankungen eher angebotsbedingt sind.

Preisblasen und Spekulation

Die Untersuchung legt nahe, dass spekulative Blasen auf den Agrarmärkten entstehen können.
Beispiele aus den USA zeigen, dass bis zu 40 % der Preisspitzen bei Rohstoffen (z. B. Öl) spekulationsbedingt sein könnten.

Obwohl sich der Einfluss auf Getreidepreise nicht genau beziffern lässt, existiert ein „Möglichkeitsraum“ für erhebliche nicht-fundamentale Preissteigerungen.

Folgen für Entwicklungsländer

Steigende Weltmarktpreise führen zeitverzögert zu höheren Importpreisen und letztlich zu steigenden Verbraucherpreisen in Entwicklungsländern – auch bei stabiler lokaler Produktion.
Da arme Haushalte oft mehr als zwei Drittel ihres Einkommens für Nahrung ausgeben, resultieren daraus:

  • Ernährungsunsicherheit und Hunger,
  • Reduktion anderer Ausgaben (z. B. Bildung, Gesundheit),
  • und soziale Spannungen.

Selbst ein Preisanstieg von nur 1 % kann nach Schätzungen der Welthungerhilfe **16 Millionen Menschen zusätzlich** in Hunger treiben.

Handlungsempfehlungen

Bass fordert eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte und schlägt unter anderem vor:

  • Berichtspflichten für Index-Trader und OTC-Geschäfte,
  • Einführung von Ethik- und Nachhaltigkeitsprüfungen für ETCs, ETFs und Zertifikate,
  • Finanztransaktionssteuer bzw. Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer,
  • Ausschluss von Akteuren aus schwach regulierten Finanzzentren (z. B. Offshore-Gebiete).

Gleichzeitig betont er, dass ohne strukturelle Reformen der globalen Ernährungssysteme kein langfristiger Erfolg möglich ist.

Grundlegende Lösungsansätze

Zur Bekämpfung finanzmarktinduzierter Hungerkrisen gehören laut Studie:

  • Gleichberechtigung und Bildung für Frauen (zur Bevölkerungsbegrenzung),
  • Reduktion des Fleisch- und Treibstoffverbrauchs in Industrieländern,
  • Gerechtere Welthandelspolitik und Einkommensmöglichkeiten für Produzenten im Süden,
  • Stärkung der Verhandlungsmacht von Kleinbauern und Produzenten in Entwicklungsländern.

Fazit

Finanzmärkte sind nicht die alleinige Ursache, aber ein Verstärker von Hungerkrisen.
Sie tragen dazu bei, Preisspitzen und Instabilität zu verschärfen, wodurch die ärmsten Bevölkerungsgruppen besonders leiden.

Eine Kombination aus finanzpolitischer Regulierung, sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Landwirtschaft ist notwendig, um den Einfluss der Finanzmärkte auf den Hunger wirksam einzudämmen.